Einen hohen Berg zu spüren und zu erleben möchten wohl die meisten Alpinisten. Dabei ist die Überschreitung von 4000 m natürlich etwas ganz Besonderes. Die Anden in Südamerika sind für solche Unternehmungen bestens geeignet. Eine sehr gute Einstiegstour ist beispielsweise der 4696 m hohe Rucu Pichincha in Ecuador. Schließlich bietet der Hausberg von Quito eine ausgezeichnete Möglichkeit zur Akklimatisierung für weitere Hochtouren in den Anden. In diesem Beitrag möchte ich Euch zwei Varianten auf den Gipfel dieses Stratovulkans vorstellen. Und bitte wundert Euch nicht: Das Bildmaterial für beide Varianten ist an verschiedenen Tagen entstanden.
Rundumblick
Der Rucu Pichincha befindet sich westlich von Quito und ist über die Seilbahn El TelefériQo sehr gut angebunden. Die Anfahrt zur Talstation auf 3050 m verläuft durch den höllischen Verkehr. Sie ist aus Sicherheitsgründen unbedingt mit einem “echten” lizenzierten Taxi zu empfehlen. Anschließend kann man die spektakuläre Fahrt mit der der Seilbahn zur Bergstation auf 3950 m genießen. Dort bietet sich ein atemberaubendes Panorama auf Quito mit ihrer 30 km Nord-Süd-Ausdehnung. Außerdem sind die umliegenden Vulkane Cotopaxi (5897 m), Antisana (5758 m) und Iliniza (5126 m) in Sichtweite.
Das Ziel vor Augen
Der Aufstieg nach dem El TelefériQo führt über sandige Pfade durch eine steppenartige Landschaft. Dabei hat man am frühen Morgen klare Sicht auf das anvisierte Tagesziel. Hingegen ist am Nachmittag der Gipfel meist vom Hochnebel bedeckt. Hier oben auf etwa 4200 m lässt sich auch die Fruchtbarkeit vulkanischer Böden erahnen: Die Flora am Rucu Pichincha ist grandios. Die ersten 350 Höhenmetern entsprechen einem gemütlichen Spaziergang. Für die restlichen 400 Höhenmetern hat man die Wahl zwischen dem sehr ausgesetzten Südostgrat und dem einfachen Normalweg. Selbstverständlich habe ich beide Varianten ausprobiert, sie werden im Folgenden beschrieben.
Rucu Pichincha-Variante 1: Genusskletterei auf dem Südostgrat “Paso de la Muerte”
Mein erster Eindruck über diese Aufstiegsroute war etwas furchteinflößend. Schließlich ist sie in lokalen Landkarten als “Paso de la Muerte” (“Pass des Todes”) bezeichnet. Darüber hinaus haben mich Einheimische über den Südostgrat eindringlich gewarnt und mich auf zahlreiche Todesopfer hingewiesen. Grund genug, sich etwas ausführlicher über den Südostgrat zu informieren und ihn sich vor Ort genauer anzusehen. Tatsächlich beginnt die Route auf 4300 m relativ harmlos mit leichter Kraxelei im I. Schwierigkeitsgrad durch sehr festes Blockgestein und führt steil hinauf zum Gipfelgrat. Ein atemberaubender Blick über den zurückgelegten Weg ist garantiert.
Jedoch fängt das wahre Vergnügen an, sobald man sich oben auf dem Grat befindet. Der sehr ausgesetzte Weg wird nämlich ziemlich schmal und durch den täglich einsetzenden Nebel möglicherweise auch etwas rutschig. Hier ist größte Vorsicht geboten. Nach diesen kurzen “Nervenkitzel”-Momenten entwickelt sich die Route wieder zu einem normalen Wanderweg: “Puh, alles gut gegangen… :-)”
Nach einiger Zeit begegnet man der Schlüsselstelle. Ein steiles Felsstück gilt es wenige Meter im Schwierigkeitsgrad II- abzuklettern, sodass man die schmale Scharte zum Felsturm erreicht. Links und rechts geht es senkrecht nach unten. Hier auf dem Übergang kann man sich kurz ausruhen, den Tiefblick genießen und den Moment auf sich wirken lassen. Direkt im Anschluss gilt es den kerzengeraden Turm im Schwierigkeitsgrad II+ hinauf zu klettern. Hierbei konnte ich eine Gruppe von Bergsteigern beobachten, welche von einem einheimischen Bergführer durch die Kletterpassage geführt wurde. Der Bergführer hatte seine drei Gäste am Seil angebunden. Ich schätze, dass dieses Seil höchstens eine psychologische Sicherheit geboten hat. Im Falle des Absturzes eines Einzelnen hätte es vermutlich den Tod aller vier Beteiligten bedeutet – unverantwortliches Agieren des Bergführers… Ohje!
Kurz nach der Schlüsselstelle erreicht man über leichtes Gehgelände auch schon das Gipfelkreuz des Rucu Pichincha auf 4696 m. Alles in allem ist der Südostgrat ein wahrer Hochgenuss mit leichter Kletterei für geübte Alpinisten mit einem starken Nervenkostüm. Jedoch ist diese Route ungeübten Wanderern dringend abzuraten.
Rucu Pichincha-Variante 2: Eine einfache Wanderung auf einen 4000er
Der Normalweg auf den Pichincha ist für alle geeignet, welche ausgesetzte Stellen und Klettereien meiden möchten. Die einzige Herausforderung, welche einem hier begegnen kann, ist möglicherweise die Höhenkrankheit (“Soroche”) oder ein Schlechtwettereinbruch. Andere Schwierigkeiten sind hier nicht zu erwarten. Der Wanderweg zweigt vom Gipfelgrat rechts ab und verläuft danach über einfache und sandige Pfade. Auf der Höhe von 4300 m steigt man anschließend etwa 300 m ab. Danach müssen diese Höhenmeter über einen serpentinenartigen Gegenanstieg wieder erreicht werden. Zu bestaunen gibt es dabei die Farbenpracht der Gesteine auf dem Pichincha: Schwarzes Vulkangestein wechselt sich mit orangen-gelben Sand ab.
Zum Schluss verläuft der Weg über einfaches Blockgestein ohne nennenswerte Kraxelei direkt zum 4696 m hohen Gipfel des Rucu Pichincha. Der Südostgrat aus Variante 1 ist dort wieder in Sichtweite und man kann den Kletterern bei ihrem Wagemut zusehen. Darüber hinaus erlebt man mit etwas Glück ein Wolkenmeer über dem Hochland von Ecuador.
Alles in allem ist nach einer Akklimatisierungsphase von etwa 2-3 Tagen in Quito jedem die Tour auf den Rucu Pichincha wärmstens zu empfehlen. Sie bietet einen ausgezeichneten Einstieg in die Welt der Anden und ist damit ein willkommenes Kontrastprogramm zur quirligen Hauptstadt.
Hasta luego
Christian
Seid Ihr von den Anden auch so sehr begeistert wie ich? Und durftet Ihr auch einen 4000 m hohen Berg erleben? Ich bin gespannt und freue mich auf Eure Kommentare!