Die markante Gipfelkette vom Rubihorn über das Nebelhorn zum Großen Daumen ist eine beliebte Route in den Allgäuer Alpen. Im ersten Teil wird der teilweise weglose Anstieg vom Rubihorn zum Nebelhorn beschrieben. Dieser Beitrag erläutert nun das Abenteuer von Oberstdorf auf den Hindelanger Klettersteig. Der Steig ist eine Paradetour. Schließlich bietet er unfassbaren Klettergenuss bei atemberaubenden Tiefblicken. Selbstverständlich ist der Verzicht auf die Seilbahn der angepeilte Maßstab. Damit werden die 22 Kilometer und 1850 Höhenmeter inklusive eines C-Klettersteigs zu einer konditionellen Herausforderung für jeden Bergliebhaber.
Den Geldsack vergessen
Leider beginnt das Abenteuer bereits bei der Suche nach einem vernünftigen Parkplatz in Oberstdorf. Falls man nach einer Erfahrung in Hinterstein (15 Euro das Tagesticket) dachte, man sei auf alle Unverschämtheiten vorbereitet, der wird sich hier noch wundern: Schande über die Betreiber des Wanderparkplatzes, dessen Automat ausschließlich 20 Euro in Münzgeld frisst. Ja, diesen gibt es tatsächlich neben der Talstation der Nebelhornbahn. Blöd, dass ich an diesem Tag meinen Geldsack nicht dabei hatte. Unfassbar! Der Parkplatz der Nebelhornbahn ist eher praxistauglich, da ein Mensch Scheine annimmt. Leider war dieser bei der Ankunft um 7:30 Uhr nicht besetzt. Nach 45 Minuten intensiver Suche die Entdeckung: Parkplatz “Am Faltenbach” beim Sportplatz, 15,90 EUR bezahlbar per Geldkarte. Praxistauglich. Großartig. Nun geht das eigentliche Abenteuer um 8:15 Uhr los! Nach der Skischanze verläuft der Weg über die Fahrstraße am Faltenbach. Rechts abzweigend verlässt man die öde Fahrstraße und läuft durch den Tobel.
Aufstieg zum Nebelhorn
Kurz nach dem Tobelweg erreicht man den Berggasthof Seealpe. Aufgrund der Seilbahnstation treffen Wanderer und Bergbahntouristen hier wieder aufeinander. Wer mag, kann ein Erfrischungsgetränk hier genießen. Im Anschluss muss man leider für ein gutes Stück vorlieb mit der sehr steilen asphaltierten Fahrstraße Richtung Edmund-Probst-Haus nehmen. Wirklich spaßig ist das nicht, schon gar nicht für die Knie (Rückweg!). Glücklicherweise wird die “Quälerei” mit dem Hohen Ifen im Rücken belohnt. Um so schnell wie möglich der hässlichen Fahrstraße zu entkommen, kann man nach etwa 5,5 Kilometer nördlich auf einen Pfad abzweigen, der direkt den Gipfelgrat des Nebelhorns anvisiert. Der Massentourismus im Bereich der Bergbahnen bleibt auf diesem steilen Steig einem zum Glück erspart. Und die Höfats ist dann auch in Sichtweite. Super!
Der eigentliche Beginn der Tour auf den Hindelanger Klettersteig
Nach 2,5 Stunden zügigen Aufstiegs erreicht man das Nebelhorn. Bei mir war das 10:45 Uhr. Etwas spät, aber auf die Seilbahn wollte ich unbedingt verzichten. Außerdem ist es ja auch lange hell. Also weiter geht es zum Zustieg in den Hindelanger Klettersteig. Dort markiert ein Hinweisschild am Geländer der Terasse des Restaurants den Einstieg. Der C-Klettersteig sei wohl in 5 Stunden zu gehen. Meiner Meinung nach ist das etwas knapp bemessen, ich habe etwa 6 Stunden ohne nennenswerte Pause benötigt. Damit der Seilbahntourist nicht ermutigt wird, diesen Weg “auszuprobieren”, muss über das Geländer geklettert und direkt eine ca. 3 m hohe Leiter abgestiegen werden. Aufgrund der späten Uhrzeit war ich offenbar der letzte Klettersteiggeher an diesem Tag, nur eine Seilschaft konnte ich in der Ferne am ersten Wengenkopf erkennen. Damit war einsamer Kraxelgenuss am sonst überlaufenen Klettersteig garantiert. Der lange Grat, welcher meine nächsten Stunden bestimmen wird, lag endlich voraus.
Eine andere Welt
Nach der Leiter lohnt sich ein kurzer Blick zurück zum Nebelhorn. Den dort offenbart sich die Kulisse rund um den Hohen Ifen. Nun taucht man auf dem Grat in eine andere Welt hinein: Eine Welt fernab des Massentourismus (zumindest für mich persönlich an diesem späten Vormittag), fernab von ausgebauten Wegen, dafür mit phänomenalen Tiefblicken und einem kontinuierlichen Auf und Ab mit unzähligen Kletterstellen. Ganz nach meinem Geschmack! Hier sollte man ein gutes Nervenkostüm in den kommenden sechs Stunden beweisen können, da ganz offensichtlich der Grat endlos erscheint. Nach der ersten großen Leiter erreicht man dann auch recht schnell den Westlichen Wengenkopf. Ein kurzer Moment innehalten. Den Ausblick genießen. Rechts der Hochvogel. Links der Sonnenkopf. Das ist Heimat.
Der nicht enden-wollende Grat
Auf dem Grat selbst wechseln sich zahlreiche Kraxelpassagen mit normalen Gehpassagen ab. Bei mir waren sogar noch Altschneefelder noch zu queren. Diese ließen mich aus der Ferne etwas schaudern, stellten dann tatsächlich doch keine Schwierigkeiten dar. Und dann passiert es: Nach einigen Stunden läuft mir ein Mensch über den Weg, damit hatte ich an diesem Tag wirklich nicht mehr gerechnet. Der Grat war nämlich völlig menschenleer, Stille und “Für-sich-Sein” war angesagt, was für ein Geschenk im überlaufenen Alpenraum! Nichtsdestotrotz sollte man nicht zu lange Verweilen und der Stille lauschen, auch wenn die gesamte Atmosphäre dazu einlädt. Der Grat endet nämlich gefühlt nie und das Tagesende rückt auch immer bedrohlich näher.
Spektakuläre Tiefblicke
Der Klettersteig selbst ist im Allgemeinen sehr gut mit Drahtseilen gesichert, insbesondere bei sehr ausgesetzten Stellen. Darüber war ich auch ziemlich froh bei den spektakulärsten Passagen, welche mir ab der Hälfte begegneten: Eine senkrecht und leicht überhängende Felswand darf geklettert sowie eine Felsplatte wieder aufgestiegen. Und dabei ist immer viel Luft unter den Sohlen, unter anderem ein direkter Tiefblick zum Koblatsee, top! Welch ein Vergnügen, zumindest mit Drahtseilsicherung …
Das Beste kommt zum Schluss
Nach etwa sechs Stunden der vollsten Konzentration in absolut exponiertem Gelände erreiche ich endlich um 16:45 Uhr das Ende des Hindelanger Klettersteigs. Natürlich lauerte hier noch eine Überraschung: Eine monströse Schneewechte, welche den Abstieg zum Laufbichelsee unter sich begraben hat. Das hat mir noch gefehlt. Also los, die flachste Stelle suchen und mit größter Vorsicht hier auch noch ca. 10 m Spuren in den Schnee schlagen und anschließend hinunter klettern. Danach ging es durch das Schneelabyrinth auf dem Koblat-Hochplateau im letzten Sonnenstrahl so schnell wie möglich zum Edmund-Probst-Haus zurück.
Am Edmund-Probst-Haus angekommen hatte inzwischen leicht die Dämmerung eingesetzt. Keine Menschenseele war mehr am Restaurant der Bergbahnstation. Gespenstisch diese Atmosphäre, so völlig ohne den gewohnten Trubel dort oben. Nach kurzer Rast ging es über die Fahrstraße und den Tobel wieder zurück nach Oberstdorf. Gegen 20:30 Uhr konnte ich dieses gigantische Bergabenteuer abschließen. Was für ein langer und ereignisreicher Tag!
Viele Grüße aus dem Allgäu
Christian
Habt ihr ebenfalls mal den Hindelanger Klettersteig an einem Tag ohne Seilbahn bewältigt? Oder habt ihr eine andere Gewalttour durchgezogen, welche Euch besonders in Erinnerung geblieben ist? Ich freue mich auf Eure Erfahrungsberichte!